Gut begleitet

Prägendes Miteinander: inklusiver Konfi-Unterricht

Prägende Erfahrungen beim inklusivem Konfiunterricht

Der Fonds des Aktionsplans „Inklusion leben“ unterstützt bislang rund 20 Gemeinden bei der Ausgestaltung des inklusiven Konfirmandenunterrichts. Um Pfarrerinnen und Pfarrer und oft auch Eltern zu entlasten, ermöglichen die Fonds-Mittel die Anstellung von Inklusions-Assistenten, die Jugendliche mit Behinderungen begleiten und mit der gesamten Konfi-Gruppe arbeiten. Jugendliche können trotz ihrer Einschränkungen gut teilhaben und alle Konfirmanden neue und prägende Lernerfahrungen sammeln. Inklusiver Konfirmandenunterricht wird so zu einem Ort gelebter Inklusion und Teilhabe: Hier schafft Gemeinde für junge Menschen prägende Lern- und Begegnungsorte und Erfahrungen. Für viele ist es eine Erstbegegnung mit Menschen mit Behinderungen, die Barrieren abbaut und ein „Wir-Gefühl“ entstehen lassen. Nachfolgend berichten Gemeinden über ihre Erfahrungen:

„Menschen miteinander verbinden“: Kirchengemeinde Altensteig (014-2017)

Inklusive Konfirmation Altensteig 2018
Inklusive Konfirmation Altensteig 2018

Marie Fünfgeld ist eine von 28 Jugendlichen, die in diesem Jahr ihre Konfirmation in der Altensteiger Stadtkirche feiern konnten. Was für evangelische Jungen und Mädchen in ihrem Alter ganz normal ist, war für Marie Fünfgeld zunächst keine Selbstverständlichkeit. Von Geburt an lebt Marie mit körperlichen Einschränkungen, ist mobil nur mit dem Rollstuhl. Sie kann nicht reden und nur eingeschränkt sehen und hören. „Ihre Familie“, berichtet der Altensteiger Stadtkirchen-Pfarrer Klaus-Peter Lüdke, „hatte sich gefragt, ob ein Konfirmandenunterricht mit ihr, für sie und für die anderen sinnvoll sei.“ Pfarrer Lüdke ermutigte die Familie und beantragte mit seiner Kirchengemeinde Gelder für eine  Inklusionsbegleitung aus dem Fonds „Inklusion leben“. Als Inklusionsbegleiterin für die Konfirmandenzeit schlug er Bettina Dörscheln aus der Gemeinde vor. „Seit ihrer Geburt“, erzählt die Kinderkrankenschwester, „bewegt mich ihre Geschichte. In den letzten zwei Jahren begleite ich sie immer wieder in ihrem Alltag. Daher war es für mich eine besondere Freude, die Anfrage der Inklusionsbegleitung unseres Pfarrers anzunehmen.“

Bettina Dörscheln begleitete Marie zum Konfirmandenunterricht, zu Gottesdiensten und stundenweise zur Konfirmandenfreizeit. Auch wenn einige der Jugendlichen Marie schon aus der Kinderkirche kannten, war für viele der gemeinsame Unterricht doch die erste Begegnung mit einem Menschen mit schweren Behinderungen. „Anfangs schreckten einige zurück, wenn Marie tastend und greifend Kontakt suchte. Doch nach und nach fanden sie eine gemeinsame Ebene guten und fröhlichen Miteinanders“, so Klaus-Peter Lüdke. „Es gab berührende und sehr lustige spontane Momente im Miteinander der Konfirmanden mit Marie“, ergänzt Bettina Dörscheln. Die Inklusionsbegleiterin war nicht nur für Marie da, sondern auch zum Brücken bauen. Sie wollte den anderen Konfirmanden vermitteln, wie Marie lebt, denkt und vor allem auf welche Art sie kommuniziert. „Sie kann nicht reden, aber lachen, klatschen und zeigen dass jemand ihren Kopf streicheln soll; oder sie umarmt jemanden. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass Jugendliche erleben, dass Menschen mit Einschränkungen besonders wertvoll sind, dass sie ihre Begabungen haben und dass nicht Perfektion entscheidend ist.“

Eine von Maries Begabungen: Sie erkennt Rhythmus und setzt ihn sogleich klatschend und rasselnd um. Und sie geht unbefangen und mit viel Liebe auf Menschen zu, auch auf Fremde. Dörscheln sieht die gemeinsame Zeit mit Marie als Bereicherung für sich und alle Beteiligten: „Die anfängliche Unsicherheit auf beiden Seite wurde mit der Zeit immer weniger. Marie hat merkliche Fortschritte gemacht und gehörte immer dazu.“ So schaffte es Marie auch, dass ihr Rollstuhl zur Konfirmation vor der Kirche stehen bleiben konnte und sie mit der Unterstützung von Bettina Dörscheln und den anderen Konfirmandinnen und Konfirmanden zum Altar laufen konnte.

„Das Inklusionsprojekt der Landeskirche hat diese Begleitung möglich gemacht“, freut sich Bettina Dörscheln. „Dadurch werden Menschen miteinander verbunden und den Betroffenen kann geholfen werden. In diesem Fall war es auch eine enorme Entlastung für die Familie. Jeder in unserer Gesellschaft kann plötzlich in die Situation kommen, inklusionsbedürftig zu sein. Daher wäre es sehr wertvoll, wenn der Inklusionsfond bestehen bleiben kann und so noch weitere Kirchengemeinden ermutigt werden, Projekte wie dieses in Angriff zu nehmen.“ 

Aus: Jahresbericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, 2018


„Jeder kann mitmachen und zeigen, was er kann“: Kirchengemeinde Bad Boll (046-2018)

Inklusive Konfirmation Lukas Kirche Stuttgart 2018

„Auch in diesem Jahr gab es bei uns in Bad Boll eine inklusive Konfirmandengruppe, die durch Pfarrer Tobias Schart und Sozialpädagogin Melanie Körner begleitet wurde. Zunächst unterrichtete. Schart die Konfirmanden vom Institut im Dorfhaus in Eckwälden. So konnte er mit den Jugendlichen schon ein Vertrauensverhältnis aufbauen.

Bei der Konfirmandenfreizeit trafen sich dann die Konfirmanden mit und ohne Unterstützungsbedarf zum ersten Mal. Auf der Freizeit waren Sozialpädagogin Melanie Körner und ein Mitarbeiter vom Institut Eckwälden als professionelle Assistenz mit dabei. Das Kennenlernen der Jugendlichen gelang sehr gut. Besonders beim Spielen, an den Abenden oder im Gelände. Aber auch in den kreativen Workshops brachten sich alle Jugendlichen gut ein. Größere Anstrengung erforderte das Zu-Bett-Bringen der Jugendlichen mit Unterstützungsbedarf, die in einem geschützten Bereich des Hauses untergebracht waren und in der Regel mehr Ruhe und Schlaf brauchen. Hier bedurfte es Einfühlungsvermögen aber auch Konsequenz im Auftreten der Mitarbeitenden.

Mit dem guten Miteinander auf der Freizeit waren beste Voraussetzungen für einen gemeinsamen Konfirmandenunterricht geschaffen. Melanie Körner war ab Februar immer im Konfirmandenunterricht dabei, bereitete die Konfirmation mit vor und unterstützte die Konfirmanden mit Unterstützungsbedarf beim Konfirmandenabendmahl mit Taufen und beim Konfirmationsgottesdienst. Sie sagt: „Der inklusive Konfirmanden- Unterricht hat in Bad Boll inzwischen eine lange Tradition. Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört. Egal wie er aussieht, welche Sprache er spricht oder ob er eine Behinderung hat. Jeder kann mitmachen“.

Genau das ist der Grundgedanke unseres inklusiven Konfirmandenunterrichts. Jeder kann mitmachen und jeder lernt und zeigt, was er kann. Wir lernen gemeinsam, lachen zusammen und feiern Seite an Seite die Konfirmation. Die Inhalte werden für die „schwächeren“ Jugendlichen „übersetzt“, Lieder und zum Teil auch Gebete durch Bewegungen unterstützt – sodass auch Jugendliche mit Sprachproblemen sich einbringen können und ihren Teil zur Konfirmation beitragen. Hierbei ist es nicht nur wichtig, dass eine Offenheit auf Seiten der Konfirmanden für das Anderssein besteht, sondern auch die Offenheit der Eltern.“ 

Tobias Schart


 „Alle gingen sehr respektvoll miteinander um“: Lukas-Kirchengemeinde Stuttgart (042-2019)

Inklusive Konfirmation Lukas Kirche Stuttgart 2018
Inklusive Konfirmation Lukas Kirche Stuttgart 2018

„Heute ging mit dem Ausflug nach Straßburg die inklusive Konfirmandenzeit in der Stuttgarter Lukas-Kirchengemeinde zuende. Und Emil war dabei – wie bei fast allen Veranstaltungen: nicht nur immer mittwochs beim Konfiunterricht, sondern auch beim Besuch auf dem Bauernhof oder im Bibelmuseum, beim Konfiwochenende und beim Gemeindespaziergang. Das alles war nur möglich, weil wir mit Blanka Büscher eine super Inklusionsbegleiterin hatten.

Emils Familie war überglücklich, dass sie dann mit ihm und der ganzen Gruppe einen schönen Konfirmationsgottesdienst feiern konnten. Auch auf die Konfigruppe hatte Emil einen sehr positiven Einfluss. Ich habe es selten erlebt, dass die Teilnehmer bei all ihren Unterschieden, die sie mitbringen, so rücksichtsvoll miteinander umgehen. Es sind nicht alle Freunde geworden, aber keiner wurde gemobbt, ausgelacht oder links liegen gelassen. Sie sind immer sehr respektvoll miteinander umgegangen. Ich führe das auf die Erfahrung zurück, die sie mit Emil gemacht haben.

Bei allen besonderen Unternehmungen, die wir machen, muss reihum jeweils ein Konfi einen Tagebucheintrag verfassen. Natürlich haben wir auch Emil im „Tobiashaus“, in dem er lebt, besucht. Dabei ist folgender Tagebucheintrag entstanden: Diesmal haben wir uns schon um 16 Uhr an der Kirche getroffen, damit wir rechtzeitig ankommen. Das Tobiashaus ist ein Wohnheim für behinderte Menschen. Mit ihnen lebt auch Emil, Konfirmand aus unserer Konfirmandengruppe. Wir haben ihn heute in seiner Wohngruppe „Ahornwald“ besucht. Er lebt dort mit weiteren sieben Erwachsenen und Jugendlichen sowie vier Mitarbeitern zusammen. Das Stockwerk hat ein Bad, mehrere Zimmer, eine Küche und ein Wohnzimmer, in welchem wir als erstes standen.

Nachdem eine nette Mitarbeiterin uns etwas erzählt hat, gingen wir in Emils Zimmer. Emil wohnt mit einem etwa gleichaltrigen Mädchen namens Beatrix zusammen in einem Zimmer. Emils Papa hat uns dann auch noch ein paar Sachen von Emil gezeigt, zum Beispiel ein VfB-Kissen und seine Beinschiene. Nachdem wir nochmal im Wohnzimmer waren und die Mitarbeiterin uns ein paar Sachen wie zum Beispiel den Tagesablauf erzählt hatte, liefen wir dann durch den Garten zu Emils Schule. In der Schule haben uns Emils Hauptlehrerin und der Direktor ein paar Sachen zum Ablauf, Lernstoff und Umgang erzählt“.

Gerd Häußler


„Bewegenden Konfirmationsgottesdienst mitgestaltet“: Kirchengemeinde Frauenzimmern (062-2017)

„Im Konfirmandenjahr 2017/18 hat der Fonds „Inklusion leben“ einem unserer jungen Gemeindeglieder die Teilnahme am Konfirmandenunterricht ermöglicht. Mit dem zur Verfügung stehenden Geld wurde seine Inklusions-Begleitung bezahlt und der Konfirmand konnte so ganz regulär an den Unterrichtsstunden teilnehmen. Außerdem hatte er sich auch bei bestimmten Gottesdienstprojekten engagiert und nicht zuletzt einen sehr schönen und bewegenden Konfirmationsgottesdienst miterlebt und mitgestaltet. Erst letztens hatte ein Gemeindeglied, das der Familie sonst nicht nähersteht, bei einem Geburtstagsbesuch mir gegenüber erwähnt, wie bewegend es war, dass der geförderte Konfirmand beim Konfirmationsgottesdienst in dieser Weise teilnehmen konnte. Für alle Unterstützung von Seiten des Fonds „Inklusion leben“ möchte ich mich hiermit im Namen der ganzen Kirchengemeinde sehr herzlich bedanken. Wir konnten so unserem Auftrag der gelebten christlichen Nächstenliebe als Gemeinde auf eine Weise nachkommen, die uns sonst kaum möglich gewesen wäre“.

Tobias Wacker


„Ich hatte eine tolle Zeit mit Euch“: Kirchengemeinde Monakam (047-2018)

„Ich möchte mit den Gedanken beginnen, die eine Konfirmandin beim Konfirmationsgottesdienst vorgetragen hat. Sie zitiert dabei den Mitkonfirmanden Keke, der seine Gedanken zuvor auf seinem Smartphone verfasst hatte: „Eine besondere Erfahrung war es, dass Keke in unserer Gruppe dabei war, Frau Monika Hartmann hat ihn dabei begleitet. Ich trage nun die Gedanken vor, die Keke uns mitgegeben hat: `Ich bin 14 Jahre alt. Ich lasse mich konfirmieren, weil ich Gott auffällig gut finde. Ich bin Autist, das heißt, ich kann nicht gut in eurer fantastisch guten Art reden. Ich kann jedoch pausenlos hören und verstehen. Ich hatte eine tolle Zeit, habe tolle Mittwoche Mittage gehabt und tolle Freunde und Moni bei mir gehabt. Bin froh, dass ich das erleben durfte, gut dass Moni mich begleitet hat. Bin froh, dass ich heute konfirmiert werde. Dann an alle, die mir den Tag ermöglicht haben, Mama und Papa für das Fest und zuletzt Oma und Opa auch Danke`.

Im Grunde hat Keke selbst hier alle wesentlichen Gedanken selbst formuliert. Die Gruppe hat ihn von Anfang sehr gut aufgenommen und ihn immer mit großem Engagement unterstützt, auch die Eltern und die übrige Kirchengemeinde haben alles sehr positiv mitgetragen. Hilfreich war hier sicher, dass die meisten Konfirmanden Keke bereits kannten, die Begegnung mit ihm also keine ganz neue Erfahrung war. Hilfreich war auch, dass die Gruppe mit 9 Konfirmanden (drei davon aus Unterhaugstett) nicht allzu groß war und insgesamt eine gute Atmosphäre herrschte. Ganz entscheidend für das gute Miteinander war die Begleitung durch Frau Korbel-Hartmann, die ihn auch in der Schule unterstützt. Mit ihr war die Zusammenarbeit sehr harmonisch und vertrauensvoll. Ohne diese Begleitung wäre eine sinnvolle Teilnahme am Konfirmandenunterricht meines Erachtens nicht möglich gewesen. So konnte Keke an fast allen Aktivitäten teilnehmen, wie auch beim abschließenden Konfirmandenausflug. Insgesamt wurde mir von den Konfirmanden, aber auch von den Eltern und den Kirchengemeinderäten bestätigt, dass die Teilnahme von Keke eine gute und wichtige Erfahrung war. Für mich als Pfarrer war dies ebenfalls eine neue Erfahrung. Die anfänglichen Unsicherheiten wichen meinerseits bald, wozu die guten Rahmenbedingungen maßgeblich beigetragen haben. Auch nach dem Konfirmationsgottesdienst wurde mir von vielen Gemeindegliedern bestätigt, dass sie es als positiv empfunden haben“   

 M. Wegner


„Die Gruppe mit ihrer besonderen Art bereichert“: Kirchengemeinde Neckarweihingen (005-2019)

Im Vorfeld des Konfirmationsjahrgangs 2018/19 sind die Eltern von Anne Bechtle auf mich zugekommen und haben mich nach den Möglichkeiten eines Konfirmandenunterrichts für ihre Tochter mit Trisomie 21 gefragt. Anne hat bereits wiederholt an der Kinderbibelwoche teilgenommen und ist ein ausgeglichenes, fröhliches und offenes Mädchen. In die konzeptionellen Vorüberlegungen war von Anfang an Diakonin Ute Götz eingebunden. Die Integration von Anne in die Gruppe wurde deutlich vereinfacht, indem eine Inklusionsbegleiterin in der Gruppe dabei war. Mit Svenja Pfeil, einer Studentin der Sonderpädagogik, wurde dafür eine geeignete Fachkraft gefunden.

Anne hat so begleitet am viertägigen KonfiCamp und am normalen Unterricht teilnehmen können. Der Unterricht hat so normal wie möglich stattgefunden. Die restliche Gruppe wurde durch die Teilnahme einer Konfirmandin mit Trisomie 21 nicht eingeschränkt. Das war möglich, weil Anne durch Svenja begleitet wurde und so keine übermäßige Aufmerksamkeit von Seiten des Pfarrers gebunden war. Gleichzeitig war für die Gruppe erlebbar, dass eine Konfirmandin mit einer geistigen Behinderung eine Gruppe auf ihre besondere Art und Weise bereichern kann und sich am Unterricht und an den Andachten zu Beginn jeder Unterrichtsstunde in der ihr angemessenen Weise beteiligen kann.

Auch die üblichen zusätzlichen Elemente, wie der Lerngang auf den Friedhof, die Exkursion zum Bestatter, das Gemeindepraktikum und die Begegnung mit der Gefängnisseelsorgerin Henrike Schmid haben ganz normal stattgefunden. Anne hat ihr Gemeindepraktikum bei unserer Mesnerin gemacht und sich nicht erst dabei gut mit ihr angefreundet. Als ergänzende Bausteine haben wir die Sonderschule am Favoritepark, auf die Anne geht, besucht. Besonders beeindruckend war der Trampolinraum und Annes offensichtliche Begabung und Freude beim Trampolinspringen. Zudem gab es einen Kreativnachmittag. Bei der kreativen Gestaltung von Hoffnungskreuzen aus El Salvador konnte sich Anne mit ihrer Fantasie und ihren Gestaltungsmöglichkeiten einbringen. Aus den Ergebnissen des Nachmittags entstand auch ein Baustein für die gemeinsame Gestaltung des Konfirmationsgottesdienstes.

Dabei hat Anne einen kurzen Bibelvers in einfacher Sprache sehr gut auswendig aufgesagt. Beim Vaterunser leitete Anne die Gemeinde beim Gebärden an. Die Rückmeldung von Familie und Lehrerinnen macht deutlich, dass es eine gelungene Form der Inklusion war. Anne wurde in ihrer Besonderheit berücksichtigt, stand aber nicht dauernd im Mittelpunkt. Frappierend für mich war, wie wichtig Anne es selbst immer war, sich ins Gruppengespräch einzubringen und wie gut sie in ihrer Weise dabei auf Ballhöhe war. Trotz anfänglicher Skepsis bei einigen Mitkonfirmanden war sie in der Gruppe recht gut integriert, wenn das auch mangels sonstiger Begegnungsmöglichkeiten und -orten an Grenzen kam.    Pfarrer O. Digel


„Ein Gewinn und Segen für die ganze Gruppe“: Kirchengemeinde Laichingen (014-2018)

„Im Konfirmandenjahrgang 2018/2019 nahmen drei Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen am Konfirmandenunterricht teil. Die finanzielle Unterstützung durch den Fonds „Inklusion leben“ ermöglichte die Begleitung der Jugendlichen bei allen Aktionen des Konfirmandenjahres. Die Begleitung der Jugendlichen umfasste den Zeitraum von rund 110 Stunden. Eine Heilpädagogin war bei allen Aktionen begleitend mit dabei: Im Konfirmanden-Unterricht, bei den Aktionen des Konfi-Teams, am Konfirmanden-Wochenende, beim Gemeinde-Praktikum, bei verschiedenen Gottesdiensten und beim gemeinsamen Mittagessen nach dem Gottesdienst.

Ziele der Begleitung durch das Konfirmandenjahr waren:
• Die Jugendlichen mit ihren Familien werden in der Kirchengemeinde wahrgenommen und nehmen an Gottesdiensten und Veranstaltungen teil. Hierbei entstehen Begegnungen mit anderen Gemeindemitgliedern.
• Die drei Jugendlichen können mit der jeweils notwendigen Unterstützung am Konfirmanden-Unterricht teilnehmen.
• In der Konfirmanden-Gruppe insgesamt entsteht ein „WIR-Gefühl“. Alle gemeinsam lernen aufeinander zu achten und erleben: „Jeder ist wichtig! Keiner wird ausgeschlossen! Jeder ist willkommen!“
• Die Jugendlichen erfahren grundlegende Wahrheiten über den Glauben an Jesus Christus, wenn nötig werden die Inhalte vereinfacht erklärt.

17 Jugendliche gehörten dem Konfirmanden-Jahrgang an. Für zwei Mädchen und einen Jungen war eine Begleitung orientiert an deren Bedürfnissen vorgesehen. Schon nach kurzer Zeit wurde deutlich, dass die beiden Mädchen mit körperlichen Beeinträchtigungen sich gegenseitig unterstützten und zusätzlich noch von ihrer Freundin, ebenfalls Konfirmandin, begleitet wurden. Die Mädchen waren ein sehr gut eingespieltes Team und meisterten nahezu alle Aktionen im Konfirmanden-Jahr selbständig. Teilweise wurden Arbeitsblätter für das sehbeeinträchtigte Mädchen größer kopiert und für das körperlich beeinträchtigte Mädchen, zum Teil im Rollstuhl, ein Fahrdienst angeboten. Der Junge mit Mehrfachbehinderung hingegen brauchte Unterstützung in vielen Bereichen: Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse, Übernahme von Aufschrieben im Konfirmanden-Unterricht, vereinfachte Erklärung der Inhalte des Unterrichts, Ermutigung bei der Formulierung von Gedanken, Antworten und Fragen im Unterricht.

Innerhalb der Konfirmanden-Gruppe ist in Laufe des Jahres ein „WIR-Gefühl“ entstanden. Die Gruppe erlebte, welche Barrieren sich aufbauen, wenn ein Mensch im Rollstuhl sitzt. Sie überlegten, wie der Junge dennoch an der Aktion teilnehmen konnte. Für den Jungen selbst erfüllte sich der Wunsch, zu der Gruppe dazuzugehören. Für ihn war vor allem wichtig, dass die Begleitperson ihm emotionale Sicherheit gab. Sie beantwortete seine spontan gestellten Fragen und stärkte und ermutigte ihn, eigene Beiträge im Konfirmanden-Unterricht einzubringen. Teilweise agierte sie als sein „Sprachrohr“. Vor allem bei den Gottesdiensten mit anschließendem Mittagessen wurden die Familien der Jugendlichen wahrgenommen, und es kam zu Begegnungen mit anderen Gemeindemitgliedern. Im Konfirmanden-Unterricht selbst und bei der Begleitung in den Gottesdiensten konnte der Junge aufkommende Fragen stellen und erhielt Erklärungen in leichter Sprache“.             

Elke Ruhland

„Das Projekt „Inklusion leben“ im Konfirmanden-Kurs 2018/19 ist sehr gut gelungen und war ein Gewinn für alle beteiligten Personen und auch für mich selbst als Verantwortlicher und Konfirmator. Es war beeindruckend, wie stark sich die Jugendlichen mit Handicap, gerade auch der Junge mit starken geistigen und körperlichen Einschränkungen einbringen konnten, oft auch inhaltlich sehr vertiefende Beiträge einbrachten. Der Einschätzung des Gewinns, nein Segens für die Gruppe und diese drei Jugendlichen und ihrer Familie, aber auch der Kirchengemeinde insgesamt in diesem Jahr, wie ihn die begleitende Heilpädagogin Elke Ruhland dargestellt hat, kann ich mich nur vollständig anschließen.

Entscheidend war dafür die Erfahrung, das große Engagement und die sehr einfühlsame Art der Begleitung und des Brückenbauens zwischen den Jugendlichen und der Gruppe durch die begleitende Heilpädagogin. Ich persönlich und wir als Kirchengemeinde sind dankbar, dass durch die Unterstützung des Fonds dieses Projekt so möglich wurde. Es ist auch fraglos ein Zeichen, dass Kirche ein Ort für alle ist und verbindet, das auch über die Gemeinde hinaus sehr positiv wahrgenommen wurde.

Pfarrer Karl-Hermann Gruhler


“ Menschen die anders sind, sensibel wahr nehmen“ : Kirchengemeinde Leonberg-Nord (029-2018)

Inklusive Konfirmation Leonberg-Nord
Inklusive Konfirmation Leonberg-Nord

„Schon einige Wochen vor Beginn des Konfirmandenjahrgangs kam Frau G. auf mich zu, mit dem Anliegen, dass Ihr Sohn Franzis am Konfirmandenunterricht teilnimmt. Franzis hat das Down-Syndrom und besuchte eine Außenklasse der Karl-Georg-Haldenwang-Schule Leonberg, einer Schule für Jugendliche mit geistiger Behinderung. Franzis ist ein aufgeweckter und fröhlicher Junge. Er kann einfache Worte lesen und schreiben und ist sehr mitteilungsfreudig. Er geht meist offen auf andere Menschen zu, hat jedoch manchmal wenig Gespür für ein ausgewogenes Nähe-Distanzverhalten und verliert schnell die Lust an den ihm gestellten Aufgaben. Von Anfang an war klar, dass er nur mit Assistenz am Konfirmandenunterricht würde teilnehmen können. Mit Frau G. konnten wir geeignete Person finden: eine junge Studentin für Sonderpädagogik, die schnell einen guten Draht zu Franzis aufbaute. Sie begleitete Franzis regelmäßig zum Unterricht und auch gelegentlich zum Gottesdienst. Ebenfalls war sie bei allen besonderen Veranstaltungen wie beispielsweise Kirchenerkundungen, Ausflug in die Bibelgalerie und beim Besuch diverser diakonischer Einrichtungen dabei. Durch die Begleitung von Franzis beim Konfirmandenunterricht wären für die Familie hohe Kosten entstanden. Diese konnten durch den Fonds „Inklusion leben“gedeckt werden. Ohne die Übernahme der Kosten wäre für die Familie eine Teilnahme Franzis` am Konfirmandenunterricht nicht möglich gewesen.

Vor Beginn des Unterrichts haben die Kollegen und ich im Rahmen des Informationsabends die anderen Konfirmandinnen und Konfirmanden und deren Eltern darüber informiert, dass ein Junge mit Downsyndrom dabei sein wird. Frau Wanner-Schwarz, eine erfahrene Heilpädagogin aus der Inklusionsarbeit im Kindergarten, hat uns hierbei professionell unterstützt und sehr behutsam und einfühlsam erklärt und informiert, was es mit dieser Behinderung auf sich hat, worin Berührungsängste und Vorurteile bestehen könnten und wie man diesen begegnen kann. Es war Raum für Fragen und Begegnungen. Von Seiten der Eltern und der Jugendlichen habe ich von Anfang an sehr viel Offenheit wahrgenommen. Bedenken oder negative Äußerungen sind nicht bei mir eingegangen. Franzis und seine Mutter sind dann nach diesem Einführungsteil zur Gruppe dazugestoßen. Viele Jugendlichen sind während des gemütlichen Zusammenseins im Anschluss gleich auf Franzis zugegangen. Im Nachhinein gesehen bin ich für diese sensible Einführung im Vorfeld sehr dankbar. Diese hat das Konfirmandenjahr und die Integration von Franzis in die Gruppe gut auf den Weg gebracht.

Mit Unterstützung von Begleiterin Maike haben wir das Thema „Bibel“ sehr elementarisiert unterrichtet. Wir haben biblische Geschichten als Theater inszeniert und Playmobil-Bodenbilder gebaut. Wir haben versucht, Franzis sehr aktiv mit einzubeziehen. Hier durfte er bewusst im Mittelpunkt stehen, das hat ihm gefallen. In vielen anderen Unterrichtseinheiten war er eher still, aber meist aufmerksam dabei und hat das Geschehen immer wieder durch oft lustige Kommentare bereichert. Da Franzis oft auch sehr zurückhalten war, hat es unterschiedlich gut funktioniert, ihn immer aktiv einzubeziehen. Sehr gerne hat Franzis immer Bilder gemalt und diese dann den anderen erklärt. Durch ihn haben die Jugendlichen sehr viel Rücksichtnahme, Wahrnehmung ohne zu werten und Zuhören gelernt. Es wurde nie jemand ausgelacht oder gehänselt. Das sensible Verhalten Franzis gegenüber hat sich auf das Verhalten anderen gegenüber übertragen. Franzis‘ Begleiterin hat es toll verstanden, ihn so gut als möglich zu motivieren oder ihm sensibel aus dem Geschehen herauszunehmen, wenn es zu viel wurde. Die anderen Konfirmanden haben viel Rücksicht genommen und viele aus der Gruppe haben sich immer wieder aus eigener Initiative bemüht, ihn . in Gruppenarbeiten zu integrieren oder bei Outdoor-Aktivitäten in guter Weise in Wettkampfprojekte mit einzubeziehen.

Aus meiner Sicht haben die Jugendlichen gelernt, Menschen die „anders“ sind wie sie selbst, sensibel wahrzunehmen und Berührungsängste abzubauen. Durch das persönliche Erleben konnten sich so Vorurteile abbauen oder gar nicht erst entstehen. Ein Höhepunkt war die im Rahmen der Einheit Diakonie veranstaltete Exkursion in die Einrichtung „Atrio“ in Leonberg, wo Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen leben und arbeiten. Da Franzis dort auch immer wieder ein- und ausging, konnte er den anderen Jugendlichen zeigen, „was hier so geht“ und war glücklich, weil alle ihm zugehört und Fragen gestellt haben. Auch am Konfiwochenende konnte Franzis dank seiner Begleitung teilnehmen. Da wir hier viele nicht kognitive Elemente spielerisch eingebaut haben, konnte er sich noch besser einbringen. Das Wochenende brachte noch einmal eine bessere Integration des Jungen in die Gruppe.

Im Konfirmationsgottesdienst hat Franzis sehr lebendig erzählt, warum er sich konfirmieren lassen möchte und dass die Zeit „echt cool“ war.

Für Franzis brachte das Jahr sicher noch einmal andere Eindrücke und Lernerfahrungen als die, die er in der Schule und im gewohnten Umfeld bekommt. Für die Gruppe war es eine Lernerfahrung von Rücksichtnahme, sich gegenseitig Annehmen und Respektieren, aufeinander Zugehen und Vorurteile abbauen. Nach 15-jähriger Erfahrung im Konfirmandenunterricht habe ich selten solch eine harmonische Gruppe erlebt, wo das Maß an Respekt und Offenheit so groß war. Auch ich persönlich habe viel gelernt und möchte die Erfahrungen nicht missen. Allerdings war für mich der erhöhte Planungs- und Vorbereitungsaufwand gelegentlich schwierig zu meistern. Ebenfalls war es für mich manchmal eine Gradwanderung, auch den anderen Jugendlichen in der Gruppe gleichermaßen gerecht zu werden und ihnen die nötige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen“. Carmen Stamer

„Mein Sohn Franzis ist sehr gern zum Konfirmandenunterricht gegangen. Jeden Mittwoch hat er sich schon auf seine junge Begleiterin gefreut und ist dann mit ihr samt Rucksack, Bibel, einer extra Kinderbibel, Ordner und Mäppchen losgezogen. Vor Ort in der großen Gruppe war er eher zurückhaltend; wenn er etwas nicht verstehen konnte, hat sich die Begleitperson viel Mühe gegeben, ihm die Thematik auf einfache Weise nahe zu bringen, zum Beispiel anhand der Kinderbibel, mit Playmo-Männchen zum Nachspielen von Geschichten oder Stiften und Papier. Die Begleitung auf Exkursionen war wichtig, um mit der Gruppe schrittzuhalten. Manchmal konnte Franzis auch sehr aus sich herausgehen, sich von seiner lebhaften Seite zeigen und ganz fröhlich auf die anderen zugehen.

Diese haben durch das Jahr mit Franzis Berührungsängste abbauen können und ihn vielleicht das eine oder andere Mal als Bereicherung erlebt. Stolz hat er sonntags sein Kirchenbesuchs-Heftlein abzeichnen lassen und ich wage zu behaupten, dass seins vielleicht dasjenige mit den meisten Unterschriften ist. Ich bin froh, dass mein Sohn Gelegenheit hatte, etwas über die Zuflucht in den christlichen Glauben zu erfahren und meine, dass er eine ernst zu nehmende Entscheidung treffen konnte, sich konfirmieren zu lassen. Auf jeden Fall war der feierliche Konfirmationssonntag ein großer Tag für ihn und eine Freude für die ganze Familie.             

Judith G., Mutter von Franzis


„Beim Konficamp über sich selbst hinausgewachsen“: Kirchengemeinde Hohenacker (038-2018)

Inklusiver Gottesdienst am Diakoniesonntag in Leonberg
Eine Gedanken-Wolke mit Aussagen der von „Atrio“ betreuten Menschen

„Ein Jahr lang habe ich die geistig behinderte Marie Becker begleiten dürfen. Marie sieht man ihre Behinderung nicht an, was den Umgang mit anderen Menschen nicht einfach macht. Erst in Gesprächen oder beim Beobachten ihres Handelns wird ersichtlich, dass sie entwicklungsverzögert ist und nicht auf dem Stand einer Fünfzehnjährigen. Ihre Mitkonfirmanden sind damit jedoch sehr souverän umgegangen und haben keinerlei Berührungsängste gezeigt. Auch mir gegenüber fasste sie schnell Vertrauen. Im Konfirmandenunterricht wurde Marie in die Gruppe integriert und bekam die gleichen Aufgaben, bei denen ich ihr zur Seite stand. Ich habe ihre Arbeitsblätter ausgefüllt, Bücher aufgeschlagen, beim Malen geholfen oder vorgelesen, wenn sie an der Reihe war. Da sie in fremder Umgebung sehr schüchtern ist, versuchte ich sie zu animieren, bei Spielen und Gruppenarbeiten mitzumachen.

Ein Highlight des Jahres war das Konfi-Camp auf der Schwäbischen Alb, an dem ich schon einige Jahre als Betreuerin der Konfirmanden unserer Gemeinde teilnehme. Maries Eltern, Pfarrer Frank und ich waren uns anfangs nicht sicher, ob Marie am Konfi-Camp teilnehmen kann, da sie davor noch nie ein ganzes Wochenende von ihrer Familie getrennt war. Doch wir wollten es gerne versuchen und sie lieber abholen lassen, wenn Probleme auftreten sollten. Marie kam mit der neuen Situation erstaunlich gut zurecht und hatte bei den gemeinsamen Gruppenaktionen großen Spaß. Beim Essen setzte sie sich am zweiten Tag selbstständig zu ihren Altersgenossen und war so gut integriert, dass ich sie stundenweise alleine mit anderen Konfirmandinnen die Workshop-Angebote wahrnehmen ließ. Es war ein schönes Gefühl, Marie so freudig zu sehen, wo sie neuen Situationen doch sehr skeptisch begegnet und eine Eingewöhnungsphase braucht, um sich zurecht zu finden. Marie erzählte auch Monate später noch von dem Camp und erinnerte sich an Kleinigkeiten, die ihr besonders gefallen haben. Auch wenn ich mit gemischten Gefühlen und sehr großer Verantwortung die Reise antrat, war ich froh, Marie und ihrer Familie solch ein Erlebnis ermöglichen zu können. Die Konfirmanden lernten sich an diesem Wochenende gut kennen, konnten so auch Maries Verhalten besser einschätzen und letzte Berührungsängste ablegen.

Auch am Konfiwochenende im Gemeindehaus nahm Marie gerne teil. Wir haben miteinander gekocht, gesungen und Spiele gemacht. Mittlerweile schloss das schüchterne Mädchen sich selbstständig Gruppen an und kam nur noch gelegentlich zu mir, wenn sie Hilfe benötigte. Auf ihre Konfirmation und die anschließende Feier freute sie sich sehr. Beim Konfirmandenabendmahl und ihrer Konfirmation brachte Marie den Mut auf, wie auch die anderen Konfirmanden, einen kurzen Text vor der Gemeinde vorzutragen. Ihre Familie war ergriffen, Marie so selbstständig zu erleben und dankbar, dass sie am Konfirmandenunterricht teilnehmen konnte.

Für Marie und für mich war das Jahr eine tolle und lehrreiche Erfahrung, die uns im Umgang mit anderen Menschen gestärkt hat. Ich hoffe sehr, Marie erinnert sich gerne an ihre Konfi-Zeit zurück. Auch ich werde dieses Jahr nicht vergessen und möchte mich in meinem zukünftigen Beruf als Lehrerin immer wieder an das schüchterne Mädchen erinnern, das über sich hinausgewachsen ist, weil man ihm die Chance dazu gegeben hat. Mich selbst hat das Thema Inklusion darüber hinaus sehr beschäftigt, weswegen „Sonderpädagogische Fördermaßnahmen am Gymnasium“ nun das Thema meiner Wissenschaftlichen Arbeit ist.

Jasmin Schmidt, Assistentin


„Papa, ich hab’s geschafft“: Kirchengemeinde Gomaringen (062-2018)

Pause beim gemeinsamen Klettern bei der Freizeit der Gomaringer Konfirmanden
Pause beim gemeinsamen Klettern bei der Freizeit der Gomaringer Konfirmanden

„Tom hat das Down-Syndrom und ist dadurch in seinen kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten deutlich eingeschränkt. Dank der Assistenz durch Gabriel Reinhardt G., von Beruf staatlicher anerkannter Erzieher,  kann Tom wie jeder andere seiner 42 Altersgenossinnen und Altersgenossen das Jahr über mittwochs am Konfirmandenunterricht teilnehmen und auch alle begleitenden Aktionen mitmachen.  Zwischen Tom und G. wächst schnell ein enges Vertrauensverhältnis. „G. ist mein Freund!“, sagt Tom immer wieder. Die Assistenz wird im Rahmen der Ehrenamtspauschale nach Stundenaufwand vergütet.  Am Ende sind es 63,5 Stunden, für die die Kirchengemeinde den Betrag von 1107,44 € aufwendet.  Die Kirchengemeinde erhält einen Förderbetrag von 1000,- € durch den Fonds „Inklusion leben“.

In den Herbstferien findet die viertägige Konfirmandenfreizeit in einem Feriendorf auf der Schwäbischen Alb statt. Die Jugendlichen bewohnen jeweils in Gruppen zu 6 bis 8 Personen gemeinsam mit zwei Mitarbeitenden ein eigenes Haus, in dem auch zusammen gekocht und gegessen wird. Zu den gemeinsamen Veranstaltungen trifft man sich im Gemeinschaftshaus. Im Vorfeld wird in engem Kontakt mit den Eltern überlegt ob und in welcher Form eine Teilnahme von Tom möglich ist. Prinzipiell steht sie in Frage, da auch die Eltern eher bezweifeln, dass sich Tom auf eine Übernachtung in fremder Umgebung einlässt. Es wird vereinbart, dass die Entscheidung letztlich situativ von Toms Stimmung und Kooperation abhängen soll. Tom soll prinzipiell  die Möglichkeit haben, tagsüber teilzunehmen, um dann nachts Zuhause zu schlafen.  Zunächst zieht er aber am Anreisetag mit den anderen fünf Jungs seiner Gruppe, mit G. und den weiteren Begleitern ins Ferienhaus ein.

Er ist in der Hausgruppe völlig integriert.  Als er am Abend von seiner Mutter am Telefon gefragt wird, ob er die Nacht über abgeholt werden möchte, lehnt er das nach anfänglichem Zögern ab. Gemeinsam mit G. wird vereinbart, es eine Nacht lang zu versuchen. Die Nacht verläuft komplikationslos. Tom bleibt die ganze Zeit auf der Freizeit und erzählt hinterher stolz, dass er jetzt auch woanders schlafen kann.

Im Konfirmandenunterricht agiert Tom eher zurückhaltend. G. muss an seiner Seite sitzen. Am Unterrichtsgespräch kann er sich nicht beteiligen. Hin und wieder bearbeiten die Konfirmanden in Gruppen  Text- oder Gestaltungsaufgaben. Dabei ist Tom in der Regel überfordert.  Das merken sowohl er wie auch die Mitkonfirmanden. Der Versuch der anderen, ihm dabei zu helfen, verstärkt diese Wahrnehmung. Das Team der Mitarbeitenden berät den Sachverhalt und spürt das Dilemma.  In solchen Gruppenphasen besprechen in Zukunft Tom und G. das Thema für sich zu zweit.  Wir stoßen an die Grenzen der Inklusion.

Zur Konzeption der Konfirmandenarbeit gehören auch erlebnispädagogische Projekte, so zum Beispiel die Begehung der Gustav Jakob-Höhle bei Grabenstetten auf der Schwäbischen Alb.  Die Anforderungen an die körperliche Fitness sind dabei für Jugendliche und Erwachsene in gleicher Weise nicht unerheblich. Auch hier stellt sich die Frage, ob Tom rein körperlich dieser Herausforderung gewachsen ist. Nachdem er prinzipiell bereit ist, sich darauf einzulassen, wollen wir es versuchen. G. und eine weitere Mitarbeiterin gehen (und kriechen) in der Höhle vor ihm beziehungsweise hinter ihm und unterstützen ihn. Auch die anderen Jugendlichen zeigen sich fürsorglich und zur Mithilfe bereit.  Die Aktion konfrontiert ihn mit seinen Grenzen. Letztlich gelingt die Begehung mit vereinten Kräften. Tom ist bester Stimmung. Als sein Vater ihn abholt, ruft er ihm schon von weitem mit strahlendem Gesicht entgegen: „Papa, ich hab`s geschafft!“

Die Jugendlichen werden im Konfirmationsgottesdienst jeweils zu dritt vor dem Altar kniend eingesegnet.  Schnell finden sich zwei Jungs, die mit Tom gemeinsam eine Einsegnungsgruppe bilden wollen. Tom allerdings zögert. Er will zunächst nicht vor den Augen all der Menschen nach vorne in den Altarraum kommen. Nachdem ihm G. vorschlägt, ihn zum Altar zu begleiten und neben ihm zu knien, lässt sich Tom darauf ein und wird an der Seite seiner beiden Mitkonfirmanden eingesegnet.

Pfarrer Hartmut Dinkel

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