Barrierefrei

Unbehindert zur Kultur: Leichte Sprache im Münster

Erfahrungen auf dem Weg zur Barrierefreiheit

Wir müssen uns die Frage stellen: Möchten wir die Menschen bei uns hereinlassen oder wollen wir ein kleiner exklusiver Kreis bleiben? Pfarrer Schaal-Ahlers 

Das Ulmer Münster: eine Kirchengemeinde mit rund 2.500 Mitgliedern, die größte evangelische Kirche Deutschlands und – mit dem höchsten Kirchturm der Welt – eine der größten touristischen Attraktionen in Deutschland. Rund eine Million Menschen besuchen das Münster jährlich. Damit allen Menschen ein Besuch in diesem einzigartigen Kulturdenkmal und Gotteshaus möglich ist, hat die Münstergemeinde  in den vergangenen Jahren zahlreiche Maßnahmen durchgeführt. Wo früher Stufen und schwere Türen den Zugang zum Kirchenbau erschwerten, gibt es seit Dezember 2017 eine ebenerdige Zugangs- und Zufahrtsmöglichkeit. Anfängliche Bedenken des Denkmalschutzes konnte der Münsterbaumeister Michael Hilbert ausräumen, weil er einen alten Stich aus dem 18. Jahrhundert fand, der belegte, dass der Zugang zum Nord- und Südschiff zu früheren Zeiten ebenartig war. Die Stufen kamen erst nach 1865 hinzu. Außerdem wurden optisch passende Schiebetüren mit Bewegungsmeldern  eingebaut. Komplettiert wurde das Projekt mit fünf rutschhemmenden Rampen im Innern.

Ulmer Muenster barrierefrei
Die Begleitung zum Münster gehört mit dazu

Mit Hilfe des Aktionsplans Inklusion konnte zudem eine weitere inklusive Idee verwirklicht werden, auch wenn Pfarrer Peter Schaal-Ahlers, Tourismuspfarrer am Münster, anfangs skeptisch war: „Ich bin auch Synodaler. Am Anfang des Projektes habe ich gedacht, wieder so eine Sau, die durch´s Dorf getrieben wird. Aber ich habe erkannt, dass Inklusion etwas Wichtiges, etwas Grundlegendes ist. Wir müssen uns die Frage stellen: Möchten wir die Menschen bei uns hereinlassen oder wollen wir ein kleiner exklusiver Kreis bleiben? Inklusiv leben, das ist die eigentliche Herausforderung.“

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Start der Führung in einfacher Sprache

So stellte die Münstergemeinde – erfolgreich – den Antrag auf Finanzierung einer FSJ-Stelle, mit der die Inklusion auf unterschiedlichsten Ebenen im Münster vorangetrieben werden sollte. Ein Jahr lang holte die FSJ´lerin Münsterbesucher vom Bahnhof ab und begleitete sie während ihres Aufenthalts, und sie betreute auch Sonderschulklassen bei ihrem Besuch im Münster. Die Resonanz war durchweg positiv. Im September diesen Jahres startete die zweite FSJ´lerin ihren Einsatz und auch die Finanzierung für ein drittes Jahr ist durch den Fonds gesichert. Schaal-Ahlers: „Meine Haupterkenntnis aus den verschiedenen Inklusionsprojekten, aber vor allem aus der Erfahrung mit den FSJ´lerinnen ist, dass Inklusion viel komplexer ist, als wir angenommen haben. Die eigentlichen Schwellen sind in den Köpfen und Herzen.“

Beim Auffinden von Barrieren im Innern des Münsters

Um weitere Barrieren und Schwellen abzubauen, kooperiert die Münstergemeinde mit dem Büro für Leichte Sprache in Ulm. Verschiedene Texte und Veröffentlichungen ließ man übersetzen, Kirchenführerinnen und –führer sollen in Leichter Sprache geschult werden. Nicht nur, um Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen besser zu erreichen, sondern auch die Menschen aus anderen Kulturkreisen und Religionen. Auch für Peter Schaal-Ahlers hat die Erfahrung mit der Leichten Sprache Auswirkungen: „ Ich predige jetzt auch ganz anders, mache kürzere Sätze. Ich muss nicht zeigen, wie gebildet ich bin. Ich möchte, dass die Schranken für das Evangelium fallen.“ Und es gibt noch einen Nebeneffekt: „Nehmen wir das Thema Auferstehung. Wenn ich die „einfach“ erkläre, dann kann ich mich nicht hinter Floskeln verstecken, dann muss ich klar Farbe bekennen.“

Innen ist alles so gut wie ebenerdig…

Es sind viele Schritte, die die Ulmer Münstergemeinde in Richtung Inklusion gegangen ist und noch gehen will. Und jeder Schritt bringt neue Erkenntnisse. „Es ist wie ein innerer Reifungsprozess.“ Sei es die Induktions-Leitung, mit der Schwerhörige am Gottesdienst teilhaben können oder die Erkenntnis, dass man für Sehbehinderte Menschen die Opferkörbchen nicht einfach wortlos weiterreichen kann, sondern sie anspricht: Hier, ich reiche Ihnen den Korb für die die Kollekte weiter.

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Die alten Türen brauchen viel Kraft

Am Tag des offenen Denkmals am 9.September ging die Münstergemeinde einen weiteren Schritt nach vorne. Oder besser nach oben. Gemeinsam mit der Kulturloge Ulm/Neu-Ulm konnten 32 Rollstuhlfahrer den Hauptturm des Münsters erklimmen – für sie ging es mit dem Bauaufzug nach oben und damit ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. 

Aus: Jahresbericht 2018 Evangelische Landeskirche in Württemberg

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